DIE HINGABE  

“Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder....“

  

„Ich aber bin im Haus Gottes

wie ein grünender Ölbaum;

auf Gottes Huld

vertraue ich immer und ewig.“

 (Ps 52,10)

EINLEITUNG 

Ein Satz des Propheten Jesaja (30,15) stellt  zwei gegensätzliche Worte nebeneinander:

„... nur Stille und Vertrauen verleihen euch Kraft.“

Den Vertrauenden sehen wir auf den ersten Blick wie einen Verzichtenden, wie einen, der seine eigene Persönlichkeit nicht selbst schützen, verteidigen und retten kann.

Und dies ist aus der Haltung der Hingabe nicht ausgeschlossen, es sei denn, die Hingabe ist ein Verlassen auf einen, der sich um mich kümmert, nämlich auf Gott. Darauf spielte Jesaja gewiß mit dem Wort „Vertrauen“ an. Ich übergebe mein Leben im völligen Vertrauen und in der Gewißheit, daß es einen Vater gibt, der sich bereits darum sorgt.

Sobald der Mensch entdeckt, daß er kein Kind mehr ist oder keines mehr sein will, will er das Leben erobern, darüber Herr sein, selbst seine Tage und seine Zeit bestimmen. Wieviel Aufregung und Ärger gibt es, wenn sogenannte Zufälle oder einfach Unvorhergesehenes meine klaren Ideen und durchdachten Pläne durchkreuzen. Jede Regung von Ärger, Zorn oder Anmaßung sind Zeichen eines Lebens, das sich besitzen will.

Es ist die tragische Widerspiegelung der Entscheidung Adams. Adam, der Mensch, entscheidet autonom über sein Leben, als wäre Gott stumm geworden oder als sei Gott ersetzbar durch den eigenen Willen.  Der Mensch findet sich sofort nackt wieder, nicht an Kleidern, sondern an Freude und Freiheit. Es gibt viele Dinge, die ihn hindern oder hemmen, sofort seine eigenen Entscheidungen zu verwirklichen. Er sieht sich dann wie ein Versager und reagiert entweder wie ein Ringkämpfer oder wie ein Besiegter. Er wird überheblich oder er resigniert!

Die Hingabe, mit der wir uns jetzt befassen, ist eine Art und Weise, mit der der Mensch seine Beziehung zu Gott ausdrückt. Es ist die Haltung, durch die der Mensch die Gegenwart des Vaters verwirklicht. Eine so gelebte Hingabe ist keine Passivität, auch wenn es oberflächlich betrachtet so scheinen mag, sondern es ist große und tiefgreifende Aktivität.

Ohne einen mühevollen und - manchmal - schmerzhaften Sieg über sich selbst und über den Einfluß der Erwartungen meiner Umgebung oder der landläufigen Meinung, wird eine wahre Hingabe nicht möglich sein. Hingabe an Gott erfordert die Umsetzung eines entschiedenen Glaubens, eine Liebe, die bereit ist, in den Tod zu gehen, eine Hoffnung wider alle Hoffnung.

Dieses Sich-Verlassen auf Gott gibt Kraft, macht ganz stark, Schwierigkeiten, Gefahren und ausweglose Situationen mutig und gelassen in Angriff zu nehmen.

Wer sich Gott überläßt, rechnet mit der Kraft Gottes! 

„... nur Stille und Vertrauen verleihen euch Kraft.“

Don Vigilio Covi

 

DIE HINGABE JESU

„Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.“

 

Jesus zeigt uns in seiner Art von Beziehung zum Vater, bis zu welchem Punkt die wahre Hingabe geht. In seinem Sohnsein lebt er in einem Verhältnis vollen Vertrauens und liebevollen Gehorsams zum Vater.

Er weiß nicht nur, daß der Vater existiert, sondern daß er wirklich Papa ist und daß er seine Vaterschaft ausüben will. Deshalb vertraut sich Ihm Jesus ganz an.

Wir beobachten dies während seines ganzen irdischen Lebens, aber in stärkerem Maße bemerken wir es in jenen Momenten, in denen Jesus in Versuchung geführt wird: in der Wüste und auf dem Kalvarienberg.

In der Wüste wird Jesus versucht, in autonomer Weise seine Macht zu gebrauchen, die ihm gegeben ist durch sein Sohn-Gottes-Sein. „Wenn du Gottes Sohn bist“, scheint ihm die Versuchung einzuflüstern, „tu das, was ein Gott tun kann.“

Dieser Gedanke - scheinbar „richtig“ vom logischen Verstand her - wird von Jesus als teuflisch erkannt. Es ist ein Gedanke, der ihn nicht mehr Sohn sein ließe, ein Gedanke, der den Sohn unabhängig vom Vater machen würde und der ihn seiner eigenen Identität als Sohn berauben würde.

Wenn der Sohn nicht mehr das Leben vom Vater bekommt, wenn er die Lebensimpulse und die Lebensorientierung nicht mehr vom Vater erhält, dann kann er sich nicht mehr Sohn nennen: er ist es nicht mehr!

Jesus reagiert auf diese Versuchung einfach mit der Hingabe an den Vater. Es scheint, daß man aus seinem Herzen folgende Überlegung herauslesen kann: Wenn ich Gottes Sohn bin, dann ist Gott mein Vater.

Ich kümmere mich darum nur um das, wozu Er mich beauftragt, ich tue nichts anderes, als das, was Er mir aufzeigt. Ich vertraue Ihm, Er weiß, was ich brauche und sorgt für mich, eben weil Er für mich Vater ist! Jesus bleibt in totaler Hingabe an die treue Vaterschaft Gottes.

Auf dem Kalvarienberg ist die innere Situation Jesu identisch, obwohl die äußeren Bedingungen viel dramatischer sind.

Die Versuchung zeigt sich in gleicher Weise: Wenn du Gottes Sohn bist, steig herab! Wenn Jesus sein Sohn-Gottes-Sein als Ehre, als Ehrgeiz, als Anlaß für Ruhm und Macht betrachtet hätte, dann hätte er sicher nicht gezögert, dieser Stimme zu gehorchen.

Aber Jesus sieht als erste Pflicht, oder besser, als beständige Liebe zum Vater sein Sohnsein  und darum will er vor allem diese Sohnschaft lebendig, real und rein erhalten.

„Wenn ich Gottes Sohn bin, sorgt Gott ganz bestimmt für mich.“

„Wenn ich Gottes Sohn bin, will ich Ihm gehorsam sein.“

„Wenn ich Gottes Sohn bin, nehme ich an, was Er weiß und verspricht.“

„Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist.“

In der Hingabe an den Vater wird jede Versuchung besiegt. Und der Vater greift mit seiner ganzen Allmacht ein: Er gibt Jesus das Nötige zum Leben, ja, Er läßt ihn sogar die Brote vermehren.

Er verleiht ihm auf dem Tabor und bei anderen Gelegenheiten eine Herrlichkeit, die weitaus größer ist als jene, welche er bekommen hätte, wenn er sich unversehrt von der Zinne des Tempels gestürzt hätte.

Und anstelle einer Herrschaftsgewalt, die Angst hervorruft bei dem, der sie erleidet und bei dem, der sie ausübt, wird Jesus vom Vater eine solche Vollmacht erhalten, so daß ganze Scharen ihm folgen und gehorchen werden!

Und sein GEIST, den er am Kreuz dem Vater übergibt, endet nicht im Nichts: Er belebt von innen her fortwährend die Kirche, seinen neuen, lebendigen Leib, die in der Welt wirkt.

Die Hingabe Jesu an den Vater war vollkommen. Die Vaterschaft Gottes konnte sich an Ihm in ihrer ganzen Fülle offenbaren!  


MEINE HINGABE

„Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder ...“

 

Die Hingabe Jesu an den Vater ist die Richtschnur für mich. Er, Jesus, ist der Meister und Er ist der Herr.

Ich weiß aber, daß ich zu einer Hingabe wie Jesus und mit Jesus nur allmählich gelangen werde durch ständige Übungen bei kleinen Gelegenheiten, die auf mich zukommen. Ich will mich Gott hingeben, einfach weil ich glaube, daß Gott VATER ist. Ich bekenne es oft: Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen. Dieses mein „Glaubensbekenntnis“! hat Konsequenzen!

Die erste Konsequenz ist ein Daraufachten, daß ich von Gott den Antrieb für mein Leben bekomme, daß ich von Ihm  Gefühle und Gedanken in mein Herz aufnehme. Ich weiß, wenn mein Leben nicht seine Quelle in Gott hat, wenn es nicht Stunde für Stunde aus Ihm entspringt, kann ich mich nicht Sohn nennen, kann ich Ihn nicht Vater nennen.

Die zweite Konsequenz ist ein großes Vertrauen: Ich habe einen Vater, der ein wirklicher Papa ist. Er sorgt sich jeden Tag um mich. Er ist nicht verbannt, sozusagen im Altersheim, wie ein  Vater, der seine Aufgabe als Papa beendet hat und zu dem ich hin und wieder gehe, um ihn zu sehen und zu grüßen, an den Festtagen. Er ist heute und auch morgen Vater im vollen Sinne des Wortes. Ich kann mich Ihm vertrauensvoll hingeben. Das Kind, das dem Vater die Hand gibt, ist  ein Bild, das meine innere Haltung auf echte Weise darstellt.

Das Kind hat keine Angst, weil der Papa da ist. Das Kind sorgt sich nicht um das Morgen, weil der Papa da ist. Das Kind fragt nicht, um alles zu verstehen, weil der Papa es ja weiß.

So überlasse ich mein Leben der Obhut des Vaters: Er kennt bereits das Warum jeden Geschehens; Er kennt den wahren Grund eines jeden Mißgeschicks. In den Mißgeschicken kann ich danken, weil das die Gelegenheiten sind - für mich zwar unvorhergesehen und unvorhersehbar -, durch die aber der Vater in direkter Weise mein Leben führt und orientiert.

Der Vater kennt meine Bedürfnisse, auch die ich morgen haben werde. Deshalb sorge ich mich nicht darum. Das Kind fragt nicht seinen eigenen Papa, ob er an das Brot für den kommenden Tag gedacht hat; es weiß in der Tat, daß es nicht nötig ist, gewisse Dinge dem Papa zu sagen. 

So brauche ich auch dem VATER gewisse Dinge nicht zu sagen. Ich gebe mich hin. Er trägt Sorge für mich.

Der Vater selbst versucht dagegen, mir Dinge zu sagen und einzugeben, an die ich nicht gedacht oder geglaubt hätte. Und manchmal übersteigt das, was Er mir sagt, meinen Verstand:

Also überlasse ich mich Seinem WORT, tue das, was Er mir sagt. Manchmal scheint das, was Er mir sagt, unmöglich zu sein. Aber wenn Er es sagt, dann werde ich es tun. Haben so nicht auch Abraham und Maria gehandelt?

Wenn ich weiß, daß Gott sich auf mich einläßt, indem Er Gehorsam verlangt, gebe ich mich diesem Gehorsam hin. Es gibt immer Gründe und Einwände gegen den Gehorsam, aber sie kommen aus dem Geist meines Verstandes und nicht aus dem Geist des Glaubens, aus dem meine Hingabe an Gott hervorgehen sollte.

Wenn ich auf meine Vernunftgründe achte, dann gewinnt mein Ich die Oberhand, und Gott dient nur dazu, meinem Geschmack zuzustimmen, meine Bequemlichkeit zu rechtfertigen und meine Ideen zu bekräftigen. Zuerst bringe ich mich zum Ausdruck und dann suche ich Gott, um mir selbst und den anderen zu zeigen, daß Er mit mir einverstanden ist. Wenn ich mich aber dem Vater hingebe, suche ich zuerst Sein Wort und diesem unterstelle ich meinen Willen. Und um sicher zu sein, daß dieses Wort nicht eine Widerspiegelung meines Ichs ist - immer schlau, wenn es darum geht, zufriedengestellt zu werden -, suche ich das Wort Gottes im Gehorsam.

Dann ist meine Hingabe konkret, dann ist sie echte Hingabe an Gott!

Fortsetzung