„Obwohl er der Sohn war, hat er durch Leiden den Gehorsam gelernt;
zur Vollendung gelangt, ist er für alle, die ihm gehorchen,
der Urheber des ewigen Heils geworden.“
(Hebr
5, 8-9)
Einleitung
Um
einen Nagel in ein hartes Stück Holz zu schlagen, sind viele Schläge auf den
Nagelkopf nötig.
Ähnlich
häufig wiederholen sich meine Gedanken auf den folgenden Seiten. Hier geht es
um einen wichtigen Nagel, der im trockenen und harten Holz unseres Herzens gut
befestigt werden muß: an diesen Nagel können aber sehr schwere Lasten gehängt
werden.
Ich
bin ein Kind Gottes:
Kindsein bedeutet, das Leben empfangen, abhängig sein und ausgerichtet auf den
Vater. Es ist mein Wunsch, daß dieser Nagel sich in vielen Köpfen und vielen
Herzen einprägen möge.
Zusammenfassung:
Jede Versuchung zielt immer auf das eine ab: Den Menschen von der Liebe
als Kind zu Gott ablenken.
Konsequenzen: Es entsteht Verwirrung
über die wahre Natur des Menschen; dadurch gelangt man zu den seltsamsten Schlußfolgerungen,
und der Mensch gerät dabei in die
Gewalt seiner selbst und der anderen. Der Zugang zur Erkenntnis
Gottes wird verhindert. Nur die Liebe als Sohn kann den Vater erkennen. Wenn
diese Liebe fehlt, meint man, daß Gott alles ist, nur nicht Vater, ja
sogar ungerecht, grausam und tyrannisch.
Der
Weg der Versuchung führt zur Häresie,
d.h. zur Verbreitung von Irrlehren. Häresie bezeichnet etwas, das aufgegriffen
und ausgewählt wird, das aus seinem Zusammenhang herausgelöst
und verabsolutiert wird. Der Versucher, der Satan, bedient sich daher der Worte
und Standpunkte, die wahr, göttlich und zum Heil notwendig sind. Er verabsolutiert
ein Wort Gottes, indem er es aus seinem Zusammenhang und aus seiner Bedeutung in
bezug auf die anderen Worte reißt: so wird der Mensch sofort gegen
Gott selbst und gegen die Mitmenschen
aufgebracht, im Glauben, in allem recht zu haben. Der Geist des Verstandes
spielt dumme Streiche auf diesem Gebiet. Der Mensch wird dadurch außerhalb des
Heiligen Geistes geschleudert.
Der Glaube, die Hoffnung, ja
sogar die Liebe werden für den Menschen zum Anlaß von Überlegungen, von Stolz
und Gewalt.
Der Sieger aber ist Jesus! In Ihm bleiben wir Kinder vor dem Vater. Jesus schenkt
uns Gehorsam, Betrachtung und Demut.
Demut, damit wir uns nicht auf unsere Überlegungen verlassen, sondern den Vater
betrachten, um ihm angemessen mit kindlicher Liebe zu gehorchen.
„Mein Sohn, wenn du dem Herrn dienen willst,
dann mach dich auf Prüfung gefaßt!“ (Sir 2,1)
Es ist kein Wunder, daß der
Mensch, und vor allem der Mensch, der Gott gehören will, Hindernissen auf
seinem Weg begegnet. Niemand möchte gerne in Versuchung geraten, aber sie
bleibt keinem erspart.
Manche denken sogar, daß die
Tatsache der Versuchung fast ein Zeichen dafür ist, vom Teufel besessen zu sein,
oder im Herzen böse Geister zu beherbergen, etwas „Böses“, „Schlechtes“.
Jede Versuchung stimmt diese
Personen daher traurig; sie sind überzeugt, von Gottes Gnade ausgeschlossen und
weit vom Ziel entfernt zu sein.
Diese Art zu denken und zu
glauben, ist ein „feines“ Spiel der Versuchung selbst, welche die Freude
verhindern und Kraft zum Zeugnis für Jesus (wie es der Christ möchte) rauben
will. (1)
Aber da der eingeborene Sohn
Gottes, Jesus Christus, auch versucht worden ist, können wir die obgenannten
Behauptungen nicht mehr aufrecht erhalten, sonst müßten wir zugeben, daß im
Herzen Jesu das Böse war, das Faule. Das
wäre Gotteslästerung!
Die Versuchungen an sich sind
nicht gefährlich. Es sind keine Schwierigkeiten, vor denen man entsetzt fliehen
muß. Die Versuchung an sich ist in der Tat eine Prüfung; sie ist etwas, nach
dem man sich sehnt.
Jede wertvolle Sache wird vor
dem Kauf „geprüft“. Mein Leben, mein Herz und meine Gefühle werden geprüft,
bevor ich sagen kann, daß ich Gott gehöre.
Die Worte „Versuchung“ und „Prüfung/Probe“ sind zwei Übersetzungen eines einzigen Begriffes aus dem Griechischen des Neuen Testamentes. Wir übersetzen eine einzige Situation auf unterschiedliche Weise, je nachdem ob wir sie aus den Händen Gottes sehen kommen oder aus den Krallen des Teufels. Der Teufel versucht, Gott ein Herz zu entreißen, Gott aber stellt diejenigen auf die Probe, die ihm gehören wollen.
Von außen betrachtet ist die
Situation dieselbe, aber sie kann von zwei verschiedenen Gesichtspunkten aus
betrachtet werden.
Jeder Christ muß geprüft
werden. Wer nicht geprüft wird, kann nicht sagen, daß er ein Christ ist.
Es ist wie bei einem Musiker: solange er nicht die Prüfungen bestanden hat, kann er sich nicht als solcher bezeichnen. Das gleiche gilt für jeden Handwerker, für den Schauspieler, für den Journalisten, für den Maurer.
Im
Gebet, das von den Lippen Jesu kam und das unsrige geworden ist, sagen wir zum
Vater: „ ...und führe uns nicht in
Versuchung“. Ich denke, daß man diese Bitte so verstehen kann: „Laß
uns in der Versuchung nicht fallen; laß uns nicht in die Hände des Bösen
fallen, oder anders ausgedrückt: gib, daß wir in der Prüfung nicht von dem überwältigt
werden, der unser Herz von dem Deinigen trennen will.“
Wir bitten den Vater nicht, daß er die Prüfung von uns fernhält. Gold und Silber müssen im Feuer geläutert werden, bevor man ihre Echtheit mit Gewißheit bestätigen kann. Das Kind Gottes muß durch die Prüfung gehen, bevor bestätigt werden kann, daß sein Leben seinen Ursprung in Gott hat.
Darum
soll der Christ nicht traurig sein über die Tatsache, daß er Versuchungen
mitmachen muß, im Gegenteil, er soll froh sein, daß er die Gelegenheit hat,
die eigene Liebe zu Gott zu erproben, ja daß er sogar die Gelegenheit hat,
DESSEN Liebe mehr zu schätzen.
Letztendlich
handelt es sich darum: zu lieben und sich
lieben zu lassen - das ist das
Wesen der Kinder Gottes!
2. Die
Liebesprobe
Kaum hatte Jesus die Worte gehört:
„Du bist mein geliebter Sohn“ , da
kam der Geist Gottes über ihn. Genau von diesem Geist wird er in die Wüste geführt.
Zweck dieser Reise ist es, auf die Probe gestellt zu werden. Auch für ihn, wie
für Ijob, wird dem Teufel der Auftrag zur Prüfung überlassen.
Der
Moment dieser Prüfung ist der Moment, dem die schönsten und glücklichsten
Augenblicke vorausgegangen sind: Jesus vernimmt, daß er
von Gott selbst als Sohn bezeichnet
wird. An den Menschen Jesus wird
dieses Wort gerichtet, das ihm die schönste und gleichzeitig geheimnisvollste
Identität zusichert. Und mit dieser Bezeichnung durchdringt ihn auch immerfort
derselbe Geist Gottes.
Wir wissen, daß der Geist Gottes die Liebesbeziehung zwischen Vater und Sohn
ist. Es ist ein Verhältnis gegenseitigen Sich-Selbst-Schenkens: Der Vater liebt,
indem er sich selbst verschenkt, und der Sohn, der so das Leben empfangen hat, fährt
fort, in gehorsamer Liebe sich selbst zu verschenken.
Der Geist
Gottes ist vollkommene Liebe, Liebe des Vaters und Liebe des Sohnes; eine
Liebe, die reich an Initiative ist und eine Liebe, die jede Initiative aufgreift;
eine Liebe, die zuerst liebt, und Liebe, die antwortet.
Die Liebe führt Jesus in die
Wüste. Die Liebe des Vaters zieht Jesus in die Wüste. Dort, am todbringenden
Ort, erweist sich die väterliche Liebe wiederum als schöpferische und Leben
zeugende Liebe.
Die Liebe des Sohnes treibt
Jesus in die Wüste. Dort kann man im Herzen dieses Mannes eine treue und
uneigennützige Liebe sehen. In Jesus sieht man die Reinheit der Liebe, eine
Liebe, die sich nur selbst verschenkt, die keine Anerkennung und Belohnung sucht.
Die Wüste ist der ideale Ort
für die Liebesprobe, der Schmelztiegel, wo es nur die reine Liebe aushalten
kann, jene Liebe ohne Verkrustungen des Egozentrismus, des Egoismus oder ohne
Suche nach eigenem Gewinn.
In
der Wüste liebt Jesus den Vater. Er liebt ihn nicht, weil er Belohnungen und
Wohltaten erwartet. In der Wüste wird Jesus nicht einmal mit einem Stück Brot
belohnt, nicht einmal das zum Leben Notwendigste bekommt er. Dort liebt er den
Vater nur aus Liebe, indem er sich ihm selbst schenkt. Und dort läßt er zu, daß
er vom Vater unmittelbar geliebt wird, ohne Vermittlung der Geschöpfe, ohne
erkennbare Beweise.
Der Geist ist es, der Jesus an
den Ort treibt, wo der Mensch dem Tode ausgesetzt ist; wo der Mensch nichts
anderes von Gott bekommen kann, als allein seine Liebe, und wo der Mensch allein
Gott sich selbst geben kann - ohne Gegenleistung für irgend etwas.
Nur die reine Liebe kann der Prüfung in der Wüste standhalten. Die Wüste ist der Schmelztiegel der Liebe. Gerade hier, an diesem „Ort“, in diesem Klima, wird die Liebesprobe vom Versucher, dem Teufel, in Angriff genommen.
In den Krallen des Teufels
wird die erhabene Liebesprobe zur Versuchung. Sie wird gedrängt zur Trennung,
zur Absonderung, zur Distanzierung des Sohnes vom Vater, zur Teilung der
unteilbaren Liebe.
Wenn
es dem Versucher gelänge, die Liebesbeziehung zwischen Vater und Sohn anzugreifen, ihre Herzen zu entzweien, dann würde
der Heilige Geist getötet, das Wesen Gottes als Liebe wäre zerstört. So würde
der Mensch Gott anders sehen, als er ist; er könnte Ihm nicht mehr begegnen,
weil er immer eine falsche Vorstellung von Gott hätte, ein verzerrtes,
erschreckendes Bild. Er würde keinen Gott der „Gemeinschaft“, sondern einen
Gott als einzige Person, als einen Herrscher-Gott sehen.
Der vernünftig denkende
Mensch bekommt entweder Angst oder lehnt diese Vorstellung ab. Und da er nicht
weiß, daß dieses Bild falsch ist, erlebt er sich Gott gegenüber entweder in
der Haltung eines Sklaven, oder er muß Gott selbst ablehnen und versuchen, sich
eine eigene Existenz aufzubauen. Der Mensch wird zum Schöpfer seiner selbst,
macht sich auch eine eigene Moral - oder gerät in Verzweiflung. (2)
Genau das geschah mit Adam: er
hat die Sohn-Beziehung zu Gott gebrochen und fand sich mit einem Bild von Gott
wieder, das ihm Angst bereitete; er erkannte jetzt einen Gott, vor dem er sich
zu verteidigen versuchte. Ihm kam vor, als wäre Gott sein Feind und nicht mehr
sein Vater.
3. Die Säkularisierung