SIEBZIG MAL  

  SIEBEN MAL

 „Vergebt, und es wird euch vergeben werden“ - (Lk 6,37)      .

  


 Nur ein Gott, der Vater ist, kann vergeben.
 Nur wer in sich den Geist Gottvaters hat, kann vergeben.

 Jesus zeigt uns das Antlitz des Vaters und gibt uns seinen Geist, damit wir fähig werden, zu verzeihen.

 So wird unser Leben vollkommen: es führt die Liebe zur Vollkommenheit!

 Wer nicht vergibt, lebt nicht das Leben Gottes.

 Wer nicht verzeiht, verbindet sich mit dem, der nicht vergeben kann, weil er aus dem Licht Gottes herausgetreten ist: er bleibt außerhalb der Liebe, ist eingetaucht im Egozentrismus: er lebt nicht.

 Gott ist Gott, weil er vergeben kann! Er kann lieben bis zum Äußersten: siebzigmal siebenmal vergeben!

  

Don Vigilio Covi

 

 

 

Die Vergebung gefunden haben

 

Wenn wir im Himmel wären, gäbe es dieses Problem nicht: wie oft verzeihen? Das gäbe es nicht und wird es nicht geben, wenn wir dort sein werden. Dann haben wir alle Vergebung gefunden.

 

Die Bezeichnung, die uns im Himmel vereinen wird, wird sein: wir haben Vergebung gefunden. Vom letzten Sünder bis zum kanonisierten Heiligen, ja bis zu dem am Schluß Gekommenen: allen ist uns vergeben.

 

Nur Maria wird keine direkte Vergebungserfahrung haben, dafür wird sie es aber indirekt erfahren in all ihren Kindern.

 

Wir werden alle Heilige sein, die Vergebung erfahren haben. Es wird keinen unschuldigen Heiligen geben, ausgenommen die Kinder. Wir werden alle Heilige sein, weil uns Vergebung zuteil wurde.

 

Diese Realität gibt mir Freude und Mut. Den Mut, die jetzigen Kriminellen anzuschauen als mögliche Heilige und die Freude, etwas Gemeinsames zu haben mit den größten Glaubenshelden, vor denen ich nur erröten kann: die Märtyrer, die Bekenner, die Einsiedler, die Mystiker.

 

Uns wurde Vergebung zuteil. Aber es gibt eine andere Realität, welche die Bewohner des Himmels in der Freude vereinen wird: wir werden alle Mensen sein, die vergeben haben.

 

Vergebung erfahren und selber vergeben sind das Paar Schuhe, das wir anziehen müssen, um den Heilsweg zu gehen!

 

Vergebung erlangen und vergeben sind die Konsequenz davon, daß Gott barmherzig ist: deswegen verzeiht Er und deswegen vergeben wir, die wir seine Kinder sind, Träger seines Geistes, Nachahmer seines Tuns, eingeschlossen in die Bewegungen seines Herzens.

 

 

 

Vergebung: Gegenwart Gottes - die „neue“ Kultur

 

Sich vergeben lassen und selbst vergeben, sind in diesem Leben die Vorzeichen des Himmels: es sind Merkmale der Gegenwart Gottes auf unserem menschlichen Lebensweg und Gegenwart Gottes in der Geschichte. Ich sage: Gegenwart Gottes! Ja, denn Vergebung annehmen ist weder ein Teil der dämonischen Kultur, noch Erbe des Stolzes und der Selbstsucht Adams! Es ist Teil einer höheren Kultur, die von einer anderen Welt kommt: von oben.

 

Vergeben und Vergebung annehmen sind Zeichen der Gegenwart der anderen Welt. Ist es vielleicht Zufall, daß Jesus seine Sendung angefangen hat, indem er das Haupt mit all den Sündern beugte, die Johannes im Jordan taufte, und diese Sendung beendet hat, indem Er den Vater um Vergebung gebeten hat für die Sünder, die gegen Ihn die Hand erhoben haben, Er der unter die Verbrecher gezählt worden war?

 

Ist es Zufall, daß Jesus - als Er den Seinen erschien - seinen Frieden geschenkt hat, gemeinsam mit der Aufgabe, sogar in Gottes Namen die Sünden derer zu vergeben, die Ihn aufnehmen würden?

 

Sich vergeben lassen und vergeben sind unmögliche Augenblicke des Lebens.

 

Alle sagen, daß es schwer ist. Ich sage, daß es unmöglich ist. Unmöglich, solange man nicht das eigene Leben außerhalb seiner selbst stellt, und zwar solange man nicht glaubt.

 

Wer nicht an Gott glaubt, sucht seine Rettung im eigenen Heil. Wenn er irrt, merkt er höchstens, daß er irrt, aber nicht daß er sündigt. Deswegen sucht er Entschuldigungen und nicht Vergebung. Er lebt nicht auf Gott gestützt, in Beziehung mit Ihm: er bittet nicht um Vergebung, sondern bittet Menschen um Entschuldigung, er sucht Ausreden in seiner Vergangenheit, in den Erziehungsfehlern anderer, im schlechten Einfluß der Gesellschaft. Wenn er sie dort nicht findet, bittet er den Psychiater um Hilfe, der die Ausrede im Unterbewußtsein suchen wird. Oder er geht zum Zauberer, der sie in der Verwünschung von anderen suchen wird.

 

Wer nicht an Gott glaubt, kann nicht um Vergebung bitten: er kann sie von niemandem erhoffen. Er ist in einer Sackgasse und er ist gezwungen, entweder zu vergessen oder zu ersticken, entweder andere Personen zu meiden oder zu verzweifeln.

 

Und wer nicht an Gott glaubt, kann nicht vergeben. Er kann es nicht, wir sollten uns darüber nicht verwundern.

 

Die Vergebung ist etwas, was in sehr enger Beziehung zu Gott steht. Wenn Gott aus dem Horizont verschwindet, gibt es keine Vergebung mehr. Und wenn ein Mensch nicht mehr vergeben kann, ist dies ein Zeichen, daß Gott den Platz in seinem Herzen verloren hat.

 

Und es handelt sich auch nicht um „irgendeinen“ Gott! Sondern um Gott, den Vater Jesu Christi.

 

Nur im christlichen Glauben wird nämlich die Vergebung vorgeschlagen. In den anderen Religionen ist sie nicht bekannt, denn sie sind Menschenwerk, und der Mensch ist nicht imstande zu vergeben. Nur der Mensch, der auf Gott, den Vater Jesu schaut, auf jenen Jesus, der am Kreuz sterbend vergibt, sich seinen Geist schenken läßt, wird fähig zum Vergeben und er ist glücklich, wenn er vergeben kann. Indem er auf den Vater schaut, sieht er jemanden, der sich freut, wenn der verlorene Sohn reumütig zurückkehrt, sieht er einen, der das gute wünscht, einem, der vom Bösen besiegt worden war. Seien wir daher Gott dankbar, daß Er sich uns offenbart hat als Einer, der vergibt, der uns vergibt! Die echteste Dankbarkeit ist, das zu tun, was Er tut!

 


Warum vergeben?

 

Nicht vergeben zu können, ist eine Folge des Atheismus. Du kannst nicht vergeben, weil Gott den Platz in dir verloren hat.

 

Der Mensch kann nur vergeben, wenn er für Werte lebt, die höher sind als die Schäden, die er erleidet. Wenn ein Mensch seine ganze Hoffnung auf die Gesundheit setzt, ist er nicht imstande, dem zu vergeben, der sie ihm durch einen Unfall ruiniert hat. Wenn eine Person ihre ganze Hoffnung auf ihr gesellschaftliches Ansehen setzt, kann sie dem nicht vergeben, der ihre Karriere ruiniert.

 

Wenn jemand seine Aufmerksamkeit nur auf den Reichtum setzt, den er auf der Bank hat, ist er nicht imstande, dem zu verzeihen, der die Bank in Konkurs gehen läßt, wo er seine Ersparnisse hat.

 

Aber wenn ich für ein höheres Ziel lebe, dann ist es anders. Wenn ich lebe, um Gott die Ehre zu geben, wenn ich lebe aus Liebe zu Jesus und versuche, sein Reich zu verbreiten - denn Er ist das Heil -, wird mir dieses Ziel weder von Krankheit, noch von der gesellschaftlichen Position, noch von der finanziellen Pleite geraubt. Im Gegenteil: mein Zeugnis für den Herrn wird stärker und entschiedener in den Notsituationen sein.

 

Derjenige, der mich eventuell beleidigt hat, hat mich nicht ruiniert, genauso wie die Henker Jesus nicht ruiniert haben. Jesus wollte dem Vater gehorchen, Ihm sein Leben anbieten und die Seinigen lieben bis zum Tod: die Henker haben Ihn nicht daran gehindert. Im Gegenteil, sie haben Ihn in eine solche Situation versetzt, daß seine Liebe, sein Gehorsam, sein Opfer noch viel evidenter wurden. Ich glaube, daß darin das Geheimnis des Vergebens, des Vergeben-Könnens besteht: eine radikale Umkehr.

 

Solange es keine Umkehr zu Jesus gibt, ist auch keine Vergebung möglich. Wer Jesus mehr liebt als sich selbst, ist imstande zu verzeihen; er tut es gern, so wie es Papst Johannes Paul II. mit seinem Attentäter getan hat.

Wenn ich mein Leben mehr als Jesus lieben würde, wäre ich nicht imstande zu verzeihen. Aber wenn ich Ihn mehr als mich selber liebe, dann kann ich machen, was Er getan hat: Er hat vergeben. Hierin liegt das Geheimnis - wirklich geheim? - der wahren Harmonie, der Eintracht und des Friedens unter den Menschen: Jesus. An Ihn glauben, und zwar sich in Ihn so sehr verlieben, daß man gar nichts mehr ohne Ihn tut: das ist die Rettung des Menschen und der Menschheit.

 

Um vergeben zu können, muß man sich bekehren! Die Einstellung ändern. Unser Leben nicht als ein Suchen unseres Vorteiles ansehen, sondern als ein Opfer an Gott, damit sein Reich sich ausbreite, damit seine Gabe angenommen wird und sein Sohn geliebt wird.

 

Das ist keine Selbstaufgabe, es ist der einzige Weg, um den Einzelnen und der Gesellschaft nützlich zu sein. Das ist wirklich der einzige Weg: ein langer und verschiedenartiger Weg hat dies bewiesen. Wer auf diesem Weg geht, ist ein Wohltäter der Menschheit, auch wenn er keine Beiträge mehr in die Fürsorgekasse bezahlt!

 

Wenn ich Jesus mehr als mich selber liebe, dann waltet der Heilige Geist in meinem Leben; Er ist sichtbar in dieser Liebesbeziehung. Der Heilige Geist ist ein Geist der Harmonie, Er ist die Quelle der Vergebung. Der Heilige Geist gibt mir ein neues Licht, um die Menschen zu sehen, vor allem jene Sünder, die mich beleidigt haben: Er läßt sie mich als Gotteskinder sehen, die dem Druck des Teufels nachgegeben haben. Wer sind die Sünder? Es sind leidende Menschen, die zum Spielball der Versuchungen geworden sind. Wer ist der, der mich beleidigt und mein Leben ruiniert? Es ist eine Person, welche die Liebe verloren hat, welche die Beziehung mit Gott unterbrochen hat und in die Fallen des Geizes, des Neides, der Eifersucht, des Ehrgeizes gefallen ist.

 

Wenn ich in dem Geist Gottes bleibe - der wird mir durch eine authentische Beziehung mit Jesus gegeben -, kann ich mit der Liebe das Böse, das in die Welt kommt, positiv beeinflussen.

 

Wenn ich nicht in dem Geist Gottes bin, reagiere ich mit Bösem, mit gewalttätigen Gefühlen, mit arroganten Worten oder mit Taten der Verteidigung und der Beschuldigung. So würde ich der Kette des Bösen ein neues Glied hinzufügen, welches die Last des menschlichen Leidens schwerer macht.

 

Wenn ich im Heiligen Geist bin, wünsche ich zu verzeihen: ich sehne mich danach, die Harmonie zwischen Menschen und Gott wiederherzustellen.

Nur derjenige, der Jesus liebt, kann verzeihen: Seine eigene Barmherzigkeit fließt in sein Herz. Dann ist die Vergebung vollkommen und wird nicht berechnend ... wie Petrus dachte, daß man es tun müßte.

 


Verschiedene Situationen

 

Die Situationen, in denen man die Vergebung üben kann, sind unzählig und sehr verschieden.

 

Wir können dem vergeben, der uns um Vergebung bittet.

 

Wir können dem vergeben, der nicht imstande ist, um Vergebung zu bitten und auch dem, der nie darum bitten wird.

 

Wir können dem vergeben, der uns Leid zugefügt hat und auch dem, der uns zum Bösen verführt hat. Wir können denen vergeben, die uns in der Vergangenheit Unrecht zugefügt haben, dem, der uns jetzt leiden läßt und auch dem, der uns in Zukunft zum Hindernis werden wird.

 

Ganz verschiedene Situationen, die man alle mit dem Geist, den uns Jesus ins Herz legt, angehen soll: es ist der Geist des Vaters, der das Gute für seine Kinder will; es ist der Geist des Sohnes, der alles von seinem Vater lernt.

 

Es gibt Sünder, die um die Vergebung bitten! Es gibt demütige Leute, die, nachdem sei einen Schaden oder ein Unrecht zugefügt haben, die betroffene Person um Verzeihung bitten. Dann ist die Mühe des Vergebens relativ leicht! Und wenn ich verzeihe in dem Wissen, daß mit mir auch der Herr verzeiht, oder wenn ich aus Liebe zu Jesus verzeihe, dann kann es passieren, daß mit der Person, der ich vergebe, stärkere und tiefere Einheit entsteht - ein wirklicher Sieg Gottes.

 

Ich habe diese Erfahrung gemacht. Durch die Vergebung aus Liebe zu Jesus entsteht eine tiefere, geistlichere Beziehung. Es ist eine Erfahrung, die ich allen wünschen möchte, besonders den Eheleuten und jenen Personen, die miteinander leben oder arbeiten für das Reich Gottes in den Gemeinschaften oder in kirchlichen Gruppen. Wer zusammen wohnt - in der Familie oder in einer Gemeinschaft - hat täglich Gelegenheit, um Verzeihung zu bitten und zu verzeihen! Wenn man zusammen lebt, bringen auch die kleinen Dinge, die man in Disharmonie sagt oder tut, ein Leid. Um Verzeihung bitten? Ja! Vergeben? Ja! Um Vergebung bitten, ohne sich zu rechtfertigen und ohne andere zu beschuldigen. Vergeben ohne Erklärungen oder Versprechungen zu verlangen.

 

Einzige Bedingung: es im Namen Jesu tun! Diesen Namen ganz klar aussprechen, denn jede Sünde schmerzt dem Herzen des Gottessohnes, der für die Sünden gestorben ist, und jede Vergebung läßt es jubeln, denn sie gibt seiner Auferstehung die Ehre: „Ich bitte dich um Vergebung in Jesu Namen!“ „Ich vergebe dir in Jesu Namen!“.

 

Wenn die Sünden, auch die schweren, von dem laut ausgesprochenen Namen Jesus umgeben werden, werden sie nicht mehr drücken und sie werden aufhören, Mißtrauen und Traurigkeit zu säen.

 

Es gibt Personen, die nicht imstande sind, um Vergebung zu bitten: ihnen wurde nie geholfen, sie haben keine Kenntnis Gottes und kein tieferes Interesse für sein Reich. Vielleicht beichten sie dem Priester ihre Sünden und glauben, nichts anderes tun zu müssen. Ich lasse sie durch mein Benehmen, durch den Gruß, durch den Blick spüren, daß in meinem Herzen Liebe für sie ist. Ihre Sünde hat mich nicht beleidigt, ihr Unrecht hat mich nicht erschreckt, denn dies hat mich nicht gehindert, in der Liebes des Vaters zu bleiben. Sie haben mit der Beleidigung, die sie mir angetan haben einen geistlichen Schaden erlitten. Ich liebe sie und bete für sie, damit ihre gestörte Einheit mit Gott wieder hergestellt wird. Mit der Liebe decken wir viele Sünden zu!

 

Es gibt Leute, die nie um Vergebung bitten werden. Sie wissen nicht, daß es so etwas gibt. Sie sind stolz oder sie meinen, über allem zu stehen, oder sie glauben, immer im Recht zu sein. Praktisch glauben sie nicht an Gott, sie lieben Ihn nicht und suchen nicht das, was Ihm gefällt. Sie nehmen die Vergebung nicht an, denn dies würde bedeuten, zugeben zu müssen, falsch gehandelt oder gesündigt zu haben.

 

Es entsteht eine schwierige, häßliche und schmerzliche Situation. Was tun? Auch gegenüber diesen Personen tue ich, was der Vater tut. Ich halte mein Herz bereit zur Vergebung. Ich wünsche ihnen, daß sie Jesus begegnen, dem einzigen Licht, in dessen Glanz es den Menschen möglich ist, ihre Sünde zu sehen. Ich wünsche ihnen die Befreiung vom Bösen und ich erbitte dieselbe vom Vater, wie es der Herr am Kreuz getan hat: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“.

 

Es gibt Personen, die gegen uns sündigen infolge unserer Sünde. Wir selber haben sie durch Worte oder Taten provoziert. Dann ist es klar: es liegt an uns, uns zu demütigen und um Verzeihung zu bitten wegen unserer Lieb-losigkeit, auch wenn sie kleiner war als jene, die uns getroffen hat. Vielleicht haben wir mit einer Beleidigung auf eine Beleidigung reagiert. Müssen wir warten, daß der andere uns um Vergebung bittet, weil er das erste Glied in der Kette des Bösen war?

 

Ich glaube nicht. Derjenige bittet als erster um Vergebung, welcher als erster von der Gnade Gottes berührt wird. Es bittet zuerst um Vergebung, wer die Herrlichkeit Gottes sucht; der, dem das Reich Gottes am Herzen liegt. Man muß wirklich Jesus mehr lieben als sich selbst, um imstande zu sein, um Vergebung zu bitten, Vergebung zu schenken und Vergebung anzunehmen.

 

Es gibt Personen, die uns verleitet haben, Böses zu tun. Soll man ihnen auch vergeben? Sicher. Das heißt aber nicht immer, zur selben Vertraulichkeit wie früher zurückzukehren. Wenn derjenige, der mich zum Bösen hingezogen hat, sich nicht bekehrt hat, vergebe ich ihm, versuche aber, die Gelegenheit zu meiden, mich nochmals betrügen zu lassen und mich zur Sünde verleiten zu lassen. Wenn jemand mich beleidigt hat, indem er meine Geheimnisse weitergesagt hat, vergebe ich ihm, werde mich aber hüten, ihm weitere anzuvertrauen.

 

Vergebung ist nicht Liebe ohne Unterscheidung, ohne Aufmerksamkeit, ohne geistliche Vorsicht.

 

Ich vergebe, kann aber nicht vergessen! Ich kann erlittene Beleidigung nicht vergessen. Oft hindert das Gedächtnis die Liebe. Also in diesem Fall sage ich dir: man muß nicht vergessen. Wenn du dich an die Beleidigung erinnerst, danke Gott dem Vater, der die die Gnade geschenkt hat, schon vergeben zu haben. Danke dem Vater, der die Vergebung, die du ausgesprochen hast, ernst nimmt. Blicke wieder auf Jesus, der für alle gestorben ist, auch für denjenigen, der dich beleidigt hat, und wünsche, daß das Werk Jesu, der dein Freund ist, sich auch in deinen „Feinden“ vollendet.

 

Langsam wird sich die Erinnerung an deine Leiden aus dem Gedächtnis löschen und sich mit der Erinnerung an die Liebe Jesu füllen!

 

Es gibt einige, die, nachdem sie nicht vergeben können, einen besonderen Segen von einem Priester erbitten: das ist ein Akt der Demut, der die Güte Gottes anzieht! ER wird dir sicherlich dieses Geschenk gewähren!

 

 

Sünden der Vorsehung?

 

Josef, der Sohn Jakobs, hat aufgrund der Sünde seiner Brüder, die ihn als Sklave verkauft haben, sehr viel leiden müssen. Sein Leben und das seines Vaters wurden ruiniert. Das hat ihn nicht daran gehindert, Gott treu zu bleiben, in den Situationen der Versuchung, in denen er sich befand.

 

Diese Treue hat ihm die Gabe der Unterscheidung im Werk Gottes verliehen: er hat in der Sünde der Brüder die geheimnisvolle Hand Gottes gesehen, die all das Gute zeigt. Gott hat erlaubt, daß er von den Brüdern verkauft wurde, damit sie von der siebenjährigen Hungersnot gerettet werden konnten. Josef sieht diesen sonderbaren, geheimnisvollen und liebreichen Plan Gottes, so vergibt er den Brüdern nicht nur, sondern überhäuft sie auch mit Gaben und Ehren.

 

Das ist ein Ereignis, das uns nachdenken macht. Die Sünden unserer Geschwister uns gegenüber können Mittel der Liebe aus Vorsehung sein oder werden.

 

„Im Unglück kann sich das Glück verbergen“, sagt ein biblisches Sprichwort. Kontemplative Augen - Augen, die mit Liebe auf Gott schauen können die geheimnisvolle Stickerei des Lebens erkennen, in der auch die negativen Ereignisse dazu beitragen, uns an der Gestalt Jesu Christi wachsen zu lassen. Wir werden nicht mehr mit feindlichem Blick auf das Unrecht schauen, das uns zugefügt wird. Wir werden mit Dankbarkeit reagieren, auch auf das, was wir nicht verstehen, auch auf das, was uns leiden macht, auch für die Beleidigungen uns gegenüber.

 

Sicher, man muß den Vater und den Sohn mehr lieben als sich selbst, um diesen Blickwinkel zu haben! Man muß im Heiligen Geist sein und seine Unterscheidung annehmen, um in schwarzer Kohle das Objekt zu sehen, von dem uns Licht und Wärme zukommt. Die Kohle ist schwarz, schmutzig und schwer. Wirf sie nicht weg. Lege sie auf das Feuer und die Kohle wird das Zimmer wärmen und die Nacht erhellen. Deine Sünden und die Sünden anderer sind häßlich und schwer? Übergib sie Gott. Er wird sie erlösen und dir Gelegenheit für das Wachstum deiner Barmherzigkeit, deiner Unterscheidungsgabe und des Trostes bieten.


 

Vergebung ist Arznei

 

Verschiedene Stimmen sagen, daß viele psychische, psychosomatische und auch körperliche Krankheiten von der Tatsache herrühren, daß die Menschen nicht in der Vergebung leben. Es ist nicht schwer, an diesen Hinweis zu glauben.

 

Das Nicht-Vergeben ist ein Fehlen der Harmonie mit Gott, mit sich selber, mit den anderen, mit der Geschichte, mit der Natur. Das Fehlen der Harmonie ist Spannung, und die Spannung ermüdet und macht Körper und Psyche krank.

 

Vergebung ist also notwendig, nicht nur um Zugang zum Himmel zu haben, sonder auch um die wenigen Tage, die uns auf der Erde bleiben, nicht in eine Hölle zu verwandeln. Vergeben!

 

Alles Vergangene vergeben. Aber wie?

 

Geh dein ganzes Leben durch mit diesem Wort im Herzen „Im Namen Jesu, aus Liebe zu Jesus, zusammen mit Jesus, vergebe ich ... das echte oder eingebildete Fehlen von Aufmerksamkeit und Liebe seitens meiner Eltern untereinander und mir gegenüber, Eifersucht und Streitereien meiner Geschwister, Neid und Gewalt meiner Kindheitsfreunde, die Feindschaften unter Hausnachbarn, die Verfluchungen, die Ungerechtigkeiten der Lehrpersonen, das Unverständnis des Pfarrers, all die erhaltenen Schläge, die mit Bosheit mir gemachten Enthüllungen über Sexualität, die Zwänge aller Art, die Klatschgeschichten und Verleumdungen gegen mich, die Eifersucht der Schwiegereltern, der Schwiegersöhne und -töchter, den Verrat der Eltern, der Geschwister, der Kinder; die Schäden, die ich durch Erbschaftsteilung erlitten habe ...“

 

Wieviel habe ich zu vergeben! Die ganze Welt scheint mir gegenüber schuldig zu sein. Ich vergebe ihr im Namen Jesu: ich will nicht unter der Last des Bösen bleiben, sondern dem Bösen mit der Liebe antworten: ich vergebe! So fange ich an, die schuldige Welt zu retten, denn ich lasse über sie einen Strom der Gnade fließen, jenen Strom, der aus dem offenen Herzen Jesu Christi entspringt!

 

Das gleiche tue ich im Hinblick auf die Gegenwart, auf das, was jetzt geschieht: ich vergebe, ich vergebe jenem, der mir schlecht gesinnt ist; ich vergebe dem, der mir schmeichelt, der mich anlügt; ich vergebe dem, der mich verachtet, ich vergebe dem, der hinterlistig ist, ich vergebe dem, der meine Umwelt zerstört; ich vergebe der Regierung, dem Parlament; ich vergebe den Verfolgern der Kirche, ich vergebe ...., ich vergebe .....

 

Und ich bereite mich vor, dem zu verzeihen, der mir in Zukunft Gewalt antun wird...

 

Es ist eine Vergebung, die bedeutet: es geht nicht um mein Leben, meine Ehre, mein Ende, sondern um die Rettung aller, um Dein Reich und um die Ausgießung Deines Geistes der Liebe über die ganze Welt.

 

Du kannst und wir können auch denen vergeben, die schon tot sind. Die Seelen der im Glauben Verstorbenen ruhen in Frieden. Ja, ich will auch ihnen vergeben, wenn eine Seele Vergebung braucht.

 

Durch den Herrn Jesus besteht eine Beziehung der Verstorbenen mit uns. Ich will keine Vorstellungen über die Art dieser Beziehungen formulieren: mir genügt zu wissen, daß Gott sie kennt und sie füllen kann, ohne daß ich ängstlich oder neugierig bin. Was mich angeht, so will auch ich ihnen meine Vergebung im Namen Jesu zukommen lassen.

 


 

Schönheit des Vergebens

 

Jesus hat öfters über Vergebung gesprochen. Er hat uns gesagt, daß es notwendig ist, daß wir vergeben, wenn wir wollen, daß Gott unser Gebet erhört. Es ist notwendig, zu vergeben, um Gott ähnlich zu sein, um von Ihm unsererseits Vergebung zu bekommen. Viele Gleichnisse haben diesen Inhalt.

 

Die Apostel haben diesen Gedanken des Meisters mit Nachdruck wiederholt; und wir verwirklichen ihn jetzt.

 

Es ist sehr schön, in der Vergebung zu leben!

 

Es ist ein Herauskommen aus der materiellen Welt und ein Eintreten in die Welt des Lichtes.

 

Es ist ein Heraustreten aus der Welt der Unruhe, um einzutreten in die Welt des Friedens.

 

Siebenmal? Nein, setze dem Frieden und der Liebe Gottes in dir keine Grenze; setze keine Jalousien vor die Sonne, die in dein Herz eintreten will.

Setze deiner Größe keine Grenzen, sei nicht kleinlich in der Liebe: es wäre keine Liebe mehr. Siebzigmal siebenmal! Halte dein Herz offen für die grenzenlose Ewigkeit Gottes!

 

Wenn du aber immer vergeben können willst, höre nicht auf, den Vater anzuschauen: du wirst das Beispiel und die Kraft erhalten.

 

„Vergebt einander, weil auch Gott euch durch Christus vergeben hat“ (Eph 4,32). „Wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr“ (Kol 3,13). Die Kontemplation Gottes ist notwendig, sie ist die Quelle unserer Fähigkeit zur Vergebung. Unser Vergeben ist die Öffnung zur Vereinigung mit Gott, vor dem wir immer, täglich neu, Sünder sind.

 

„Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, dann wird euer himmlischer Vater auch euch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, dann wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben“ (Mt 6,14-15).

 

Wir, die wir Kinder Gottes sind, sollen uns nicht dem „Ankläger unserer Brüder“ anschließen, der hinabgestürzt worden ist. Wenn wir einen Bruder finden, der gegen Gott oder gegen uns sündigt, klagen wir ihn nicht an, noch urteilen wir über ihn, noch verurteilen wir ihn. Wir wollen ihn retten vor dem, „der wie ein Löwe herumgeht und sucht, wen er verschlingen kann“ (1 Pt 5,8). Wir wollen Mitarbeiter Gottes sein im Werk der Erlösung, Mitarbeiter Jesu, der sein Blut vergossen hat „zur Vergebung der Sünden“. So werden wir unfähig, Schlechtes über jemanden zu reden.

Wer vergibt, wie Gott vergibt, redet kein schlechtes Wort über niemanden. Jeder Sünder wird von Gott gesucht. Gott ist mit seinen Engeln auf der Spur eines jeden Verbrechers. Als Kain seinen Bruder umbrachte, kam Gott heraus, um ihn zu suchen, um ihm die verlorene Liebe wieder zu schenken. Und obwohl ihm das nicht sofort gelang, hat er ihn weiterhin geschützt und ihn nicht verlassen. Könntest du über Kain Schlechtes reden, da Gott ihn mit Liebe sucht und ihm nachgeht?

 

Hören wir weiters diese Aufforderung Jesu: „Liebt eure Feinde und betet für eure Verfolger, damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet; denn er läßt seine Sonne über Bösen und Guten aufgehen, und er läßt regnen über Gerechte und Ungerechte ... Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist“ (Mt 5,44s-48). Indem wir vergebend lieben, werden wir sogar vollkommen gleich der Vollkommenheit Gottes! Das ist der Weg, um Söhne zu werden, um von Ihm anerkannt zu werden: die Vergebung!

 

                                                                                          

 

Danke, Bruder, für all die Male, die du mir vergeben hast; danke, denn du hast dich mit Jesus vereint, um mir die Zeichen der Liebe des Vaters zu schenken.

 

Danke, daß du mehr auf deine Liebe zum Herrn geachtet hast, als auf meine Sünde.

 

Danke, daß du erlaubst, daß dein Leben mehr vom Wort Gottes beeinflußt wird, als von meinen Fehlern und von meiner Bosheit.