VATER UNSER 

  Band 3

„Unser tägliches Brot gib uns heute,
vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern,
 und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen“

Die das „Vater unser“ beten, leben als Geschwister, sie nehmen am Leben anderer teil, sie vergeben und finden Kraft im Kampf gegen jede Versuchung der Teilung. Die Menschheit, die Jesus – Brot fürs Leben – um sich versammelt, wird eine echte Familie!

„Sie waren ein Herz und eine Seele!“ Das ist die Frucht der Treue im Gebet, das sie von Jesus gelernt haben. 

 Vorwort 

Wir beenden nun die Meditation über das Gebet Jesu: ein Gebet, das Gebets-, Lebens- und Liebesschule ist. Ich danke Jesus, der es uns gelehrt hat, und dem Heiligen Geist, der es ständig in uns flüstert mit immer neuen Verständnisnuancen. Ich danke den Heiligen, die es mit ihrem Leben erklärt und in Liebe übersetzt haben.

Ich danke Dir, der du mir hilfst, daß dieses Gebet, wenn es mein Herz verläßt, Gebet der Kirche, des Leibes Christi wird. Du hilfst mir, damit das Gebet der Braut – das Liebesgebet – ein Echo auch in meinem Herzen findet.

 Don Vigilio Covi

UNSER TÄGLICHES BROT GIB UNS HEUTE 

A.

Vater unser

Jesus fährt fort, den Aposteln zu antworten, die ihn gebeten haben, sie beten zu lehren.

Bis jetzt hat das Gebet, das Er ihnen ins Herz und in den Geist gelegt hat, dazu geführt, die Liebe des Vaters zu bestaunen und sie zu seinen Dienern zu machen. Das Gebet hat den Jüngern Flügel gegeben, um über die Welt und außerhalb der Welt, die sie bedingt, zu fliegen; es hat sie fähig gemacht, im Geist und im Herzen Gottes selbst zu leben. So sind sie auch von jenem Egoismus befreit worden, der das Gebet und die Beziehung zum Vater zerstören könnte.

Beim Beten mit den Worten Jesu haben sich die Apostel mit seiner Heiligkeit, mit seinem Reich, mit seinen Plänen beschäftigen müssen, sie haben sich zu Dienern der Liebe des Vaters für die ganze Welt machen müssen. So haben sie die Wurzeln der Freiheit erreicht – aus Gnade, ohne es zu wissen! Wer mit Jesus gebetet hat, hat sich nun selber vergessen, hat die eigenen Träume von Erfolg, Reichtum, Ehrgeiz, von langem Leben und von Gesundheit vergessen, denn er hat sich mit der Liebe des eigenen Vaters beschäftigen müssen! Wer bis hier mit Jesus gebetet hat, ist frei von den so dringenden Notwendigkeiten, welche die tieferen und größeren vergessen lassen; er ist frei, Gott in sein Leben aufzunehmen, denn er ist frei geworden vom Denken an sich selbst. 

Mit dieser Freiheit können sie auf sich selbst und auf die Welt, in der sie leben, mit einem neuen Blick, mit genaueren Wünschen schauen, und so können sie zum Vater über sich und über die eigenen Geschwister sprechen, und zwar mit jener Liebe, welche wirklich der göttlichen Liebe begegnet, denn von dieser stammt sie ab. 

Jesus führt uns nun dazu, die Situation, in der wir leben, mit einem neuen, leuchtenden Blick zu schauen; wir haben diesen bei der Betrachtung des Vaters und seines Eigentums (Name, Reich, Wille) bekommen.

Wir können die Augen auf die Wirklichkeit unseres Lebens wenden, denn in unseren Augen hat sich das Licht der göttlichen Weisheit entzündet. Mit der Liebe der Kinder, welche die Liebe des Vaters kennen, dürfen wir von uns mit Ihm sprechen. Ein Kind, das sich vom Vater lieben läßt, und das sich angeboten hat, Seinen Willen zu tun, kann die Freiheit und die Freude haben, zu bitten und für andere einzutreten, damit der Vater selbst darauf schaut und sich darum kümmert.

Jetzt bittet das Kind den Vater.

Jesus aber lehrt mich, nicht für mich zu bitten, sondern für uns! Nicht nur, Er lehrt mich im Namen der Geschwister zu bitten und zusammen mit ihnen. 

Gib uns heute unser...

Nicht ich allein bin es, der bittet, „wir“ sind es, die bitten. Gott erhört das Gebet der Kirche, der Gemeinde, denn in ihr verbirgt sich und offenbart sich sein Leben, das Gemeinschaft ist. Ich bitte nicht als Einzelperson – die sich später rühmen kann, erhört worden zu sein – sondern als Glied des Leibes Christi, wie einer von vielen, als Stimme von vielen, die vereint und demütig vor den einzigen Vater treten.

„Alles, was zwei von euch auf Erden gemeinsam erbitten, werden sie von meinem Vater erhalten. Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ [Mt 18,20].

Jesus ist es, der Sohn, der alles vom Vater erhält. Wir sind Glieder seines Leibes, und das wird offenkundig und tritt ein, wenn sich unsere Einheit und Eintracht mit den Geschwistern konkretisiert. 

Können wir den Vater um alles bitten? Wer autorisiert uns dazu?

Jesus selbst hat gedrängt: „Bittet, so wird es euch gegeben.“ Er richtet diese Worte an die Jünger, an diejenigen, welche ihm schon folgen und gehorchen; er sagt sie denen, die sich seine Wünsche zu eigen gemacht haben und deshalb nur um das bitten werden, was innerhalb einer echten Kindbeziehung mit Gott besteht.

„Wenn meine Worte in euch bleiben, dann bittet um alles, was ihr wollt: Ihr werdet es erhalten“ [Joh 15,7.] Wenn meine Worte in euch bleiben, das heißt, wenn ihr euch von mir belehren läßt und mich liebt. „Was ihr vom Vater erbitten werdet, das wird er euch in meinem Namen geben. Bis jetzt habt ihr noch nichts in meinem Namen erbeten. Bittet und ihr werdet empfangen, damit eure Freude vollkommen ist“
[Joh 16,23-24]. Bitten ja, aber „in meinem Namen!“ Bitten als Personen, die ganz eins mit Jesus sind, die seine Liebe und sein Opfer an den Vater angenommen haben.

Verbunden mit Jesus haben wir Vertrauen zum Vater und der Vater erhört uns, denn Er vertraut dem Sohn. Der Vater weiß, daß der Sohn ihm mit einer Liebe gehorsam gewesen ist, die Ihn zum Tode geführt hat. Der Gehorsam antwortet dem Gehorsam: Der Vater gehorcht den Worten des Sohnes, auch wenn sie von uns gesprochen werden, aber verbunden mit dem Sohn.
Denn: „Der Vater selbst liebt euch, weil ihr mich geliebt ...habt“ [Joh 16,27].

Es verwundert uns nicht die Tatsache, daß Gott mit seiner Macht die Worte der Heiligen in die Tat umsetzt, jener Menschen, die Jesus geliebt haben und lieben.

Danke, Vater, für deine Liebe, mit der du unsere Liebe zu Jesus vergiltst. Er hat sich liebenswürdig gemacht, damit deine Liebe auf uns komme und uns umgebe wie eine Feuerflamme, die brennt, aber nicht verbrennt.

 

UNSER TÄGLICHES BROT GIB UNS HEUTE

B.

Bitten, verlangen ... aber was? Um was kann ich Gott bitten?

Von dem, was ich erbitte, merkt Gott, wen ich liebe: Ob ich mich selber oder Ihn liebe. Worum kann man Gott bitten, von dem ja schon alles kommt, was wir haben? Worum kann man den Vater bitten, der uns schon das Leben gegeben hat, der uns Seinen Willen hat erkennen lassen und der uns die Schönheit Seines Reiches gezeigt hat? Was vom Vater erbitten, der mir schon die Zärtlichkeit und Heiligkeit Seines Namens hat kosten lassen?

„Wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen“ [Röm 8,26]. Wir sind „Unwissende“; das ist aber nicht der Geist Gottes, der in den Herzen derer, die glauben, ausgegossen ist. „Der Geist selber tritt jedoch für uns ein mit Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können. Und Gott, der die Herzen erforscht, weiß, was die Absicht des Geistes ist: Er tritt so, wie Gott es will, für die Heiligen ein
[Röm 8,26-27]. „Wir wissen, daß Gott denen, die ihn lieben, alles zum Guten führt, bei denen, die nach seinem ewigen Plan berufen sind“ [Röm 8,28].

Wir bitten den Vater deshalb, weil Jesus uns zu bitten gelehrt hat. Voll Vertrauen erbitten wir vor allem die Weisheit. „Nicht zweifeln; denn wer zweifelt, ist wie eine Welle, die vom Wind im Meer hin und her getrieben wird. Ein solcher Mensch bilde sich nicht ein, daß er vom Herrn etwas erhalten wird. Er ist ein Mann mit zwei Seelen, unbeständig auf all seinen Wegen“ [Jak 1,6-8]. Wir bitten im Wissen, daß das echteste Gebet vom Heiligen Geist gesprochen wird, der für uns viel mehr erbittet, als wir uns vorstellen können. Bitten wir also ohne Angst vor unseren Beurteilungsfehlern, denn der Vater hört auf den Geist und seine Bitten. Bitten wir um alles Mögliche. Schon darin werden wir erhört, denn im Bitten wächst in uns die Demut, das Sich-klein-Fühlen, eine Haltung, die in uns den Heiligen Geist und die zärtliche Liebe des Vaters anzieht. Wenn wir auch nur um Brot zum Essen bitten sollten, bekommen wir Heiligen Geist! Der Vater ist so gut, daß Er uns über alle unsere Erwartungen erhört. Während wir uns mit Unwissenheit an Ihn wenden, bekleidet Er uns mit dem Geist der Weisheit!

Wenn wir mit Demut bitten, zeigen wir Vertrauen und Zutrauen. Im Wissen, daß wir „nicht wissen“, ob das, worum wir bitten, unser Bestes ist, daß wir nicht wissen „in rechter Weise“ zu bitten, schenken wir dem Vater noch mehr Vertrauen. Unsere Unwissenheit über das echte Gut für uns lenkt unsere Aufmerksamkeit von den Dingen ab, die wir möchten, und wendet sie der Person zu, der wir uns zuwenden.

Gerade weil wir wissen, „Unwissende“ zu sein, vertrauen wir uns der Weisheit des Vaters an. Er weiß! Er erhört die Wünsche des Geistes, und zwar die intimsten und die uns selbst verborgensten. 

Wenn der Vater alle meine Bitten erhören würde, wer weiß, ob ich dort ankäme, wo ich hin möchte. Einige Beispiele:

Ich wollte rechtzeitig bei einem Treffen mit einer wichtigen Person ankommen. Der Vater hat mich nicht erhört: Ich bin zu spät gekommen. Aber jene Person hatte noch mehr Verspätung als ich! Ich habe den Vater um die Gesundheit für einen Freund gebeten, aber es war während seiner Krankheit und dank ihr, daß er zum Glauben gekommen ist.

Ein Jugendlicher hat mir versprochen, daß er im Fall von Regenwetter zu einem Gebetstreffen am kommenden Sonntag kommen würde. Ich habe den Vater um Regen gebeten. Er hat mich erhört und ich war glücklich. Aber der Jugendliche hat nicht teilgenommen. Ich werde nie mehr um Regen bitten, sondern direkt um die Teilnahme. Nein, nicht einmal das werde ich erbitten, denn mein Freund könnte teilnehmen, ohne sich zu bekehren. Ich werde um Bekehrung bitten, und diese wird zu jener Zeit und auf jene Art eintreten, die der Heilige Geist kennt.

Als einer der Brüder meiner Gemeinschaft mit der Gartenarbeit beauftragt war, hat er den Vater um einige Tomatenpflänzchen gebeten, um ein Beet vollzumachen. Eine Stunde später sind zwei Steigen reife Tomaten „angekommen“! So erhört der Vater!

Und noch mehr! Hören wir die Erzählung eines Missionars.
Eine Muslimin sucht mit Ausdauer eine christliche Kirche, im Vertrauen dort gehört und erhört zu werden. Sie bittet Gott, ihren ehebrecherischen Mann zurückkommen zu lassen. Sie hat schon das Messer vorbereitet, um ihn umzubringen. Und was macht der Vater? Er erhört sie, und noch mehr! Bevor Er den Mann zurückkehren läßt, legt Er ihr die Fähigkeit und den Willen zum Verzeihen ins Herz.
Jetzt genießt sie die Harmonie und den Frieden mit der ganzen Familie.

Wir bitten um etwas, das für uns sogar schlecht wäre, aber der Vater schenkt Heiligen Geist. Wir sind sogar imstande Reichtümer, Wohlstand und Geld zu erbitten, aus Liebe zu denen viele sündigen, denn sie sind die Wurzel aller Übel, Dornen, die das in uns von Jesus gesäte Wort ersticken. Trotz unserer Unwissenheit dürfen wir bitten. Der Vater wird uns noch mehr geben. So gelangen wir vom Vertrauen, daß der Vater uns etwas gibt, zum Vertrauen, daß Er weiß was!

Er ist froh und freut sich, daß ich meine Erkenntnis als Kind entwickle. Er freut sich, daß ich auf Sein Reich achte. Er erschrickt nicht, wenn ich mich ab und zu im Bitten irre! Deshalb bitte ich. Ich bitte immerfort, lasse aber Ihm die Freiheit, anders zu handeln, mich nach Seiner Art zu erhören, so wie ich nie imstande wäre, sie mir vorzustellen. Ich bitte, ohne zu verlangen!

Vater, da bin ich. Höre auf die Stimme des Heiligen Geistes. Ich verstehe sie nicht, denn Er spricht mit unaussprechlichem Seufzen. Aber du erforschst die Herzen, du kannst dieses Seufzen interpretieren wie den Schrei eines Menschen, der immer dir gehören will.

  Fortsetzung...